D. Aeby: Les jésuites à Fribourg en Suisse aux XVIII e et XIXe siècles

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Titel
La Compagnie de Jésus de part et d’autre de son temps de suppression: les jésuites à Fribourg en Suisse aux XVIII e et XIXe siècles.


Autor(en)
Aeby, David
Erschienen
Padova 2020: Padova University Press
Anzahl Seiten
501 S.
von
Filip Malesevic, Kunsthistorisches Seminar, Universität Basel

Mit der Bulle Dominus ac Redemptor Noster vom 21. Juli 1773 entschied sich Papst Clemens XIV. dazu, den Orden der Gesellschaft Jesu aufzuheben. Diese Auf-hebung des in der Geschichte des Katholizismus seit dem 16. Jahrhundert wohl bedeutendsten Ordens kam allerdings nicht überraschend. Schon im September 1759 wurde die Gesellschaft aus Portugal mit einem königlichen Erlass verbannt. Darauf-hin folgten deren Ausweisungen aus Frankreich (1764), Sizilien, Malta, Parma, dem Spanischen Königreich (1767), Österreich und Ungarn (1782). Die Eidgenossen-schaft und speziell die Stadt Fribourg spielten in der Zeit zwischen der Aufhebung und der 1814 von Papst Pius VII. beschlossenen Wiedereinsetzung des Ordens eine bislang noch kaum untersuchte Rolle. Diese Lücke schliesst David Aeby mit seiner 2019 an der Universität Fribourg und der École des hautes études angenommenen Dissertation, welche Aufnahme und Ansiedlung der Jesuiten in Fribourg durch Erschliessung und Auswertung der in dortigen Archiven und Bibliotheken vorhan-denen Dokumente nachzeichnet. Die Publikation der Promotionsschrift erweist sich nicht nur dadurch als günstig für die derzeitige Jesuitenforschung, dass sie fünf Jahre nach dem zweihundertjährigen Jubiläum der päpstlichen Bulle Sollicitudo omnium Ecclesiarum Pius’ VII. fertiggestellt wurde, sondern ist auch deshalb von Bedeu-tung, weil mit ihr der von Luce Giard geprägte Begriff einer «désenclave» des Jesui-tenordens in der Schweiz des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts durch Analyse von Ausrichtung und Gestaltung des Ordens im Raum Fribourg tiefenscharf unter-sucht wird.
Die Studie setzt sich aus drei Teilen zusammen, in denen die «Eingliederung» (inscription) des Jesuitenordens in die soziopolitischen, kulturellen und religiösen Bedingungen Fribourgs nachgezeichnet wird. Diese Gliederung erlaubt es dem Ver-fasser, die Wechselwirkung der Ordensmitglieder nicht nur mit wichtigen politi-schen Akteuren und Institutionen der Stadt nach dem Ancien Régime aufzuzeigen, sondern auch deren Interaktion mit ihrer Aussenwelt anhand der Organisation ihres «Innenlebens» (vie intérieur) – verstanden als identitätsstiftende Dynamik der Gesellschaft – dem Leser bzw. der Leserin vergleichbar profunde zu erschliessen.
Die Einfügung der Jesuiten in die städtische Kultur dient dabei als Bindeglied zwischen diesen beiden Bereichen, die das «Leben» des Ordens und dessen Rolle in Fribourg ausmachten. Aeby zeigt dabei systematisch auf, wie die Jesuiten stets eine Anbindung an die städtisch politische Obrigkeit suchten, um die Relevanz des Or-dens sowie dessen spezifisch auf den Raum Fribourg angepasste Ämterbesetzung am Collège Saint-Michel gewährleisten zu können. Ferner legt der Verfasser mit dem Begriff der «sociabilité» die sowohl «beruflich-professionelle» (sociabilités profes-sionelles) als auch die «gesellschaftlich-weltgewandte» (sociabilités mondaines) Einbindung des Ordens in die sozialen und politischen Strukturen dar. Zur definiti-ven Eingliederung der Gesellschaft Jesu in die städtische Kultur Fribourgs trug dabei insbesondere deren eigenständiger intellektueller Beitrag zur weiteren Ausge-staltung der Priesterausbildung bei, die seit dem 16. Jahrhundert das Markenzeichen der Jesuiten schlechthin war und mit Giards Begriff einer «Pflicht zur Bildung» (devoir d’intelligence) am deutlichsten erfasst werden kann. In diesem Zusammen-hang präsentiert David Aeby eine Rekonstruktion der Bibliothek der Jesuiten und deren Internat («pensionnat») von Saint-Michel anhand der überlieferten Kataloge zu den Bücherbeständen nach der Wiedereinsetzung des Ordens im frühen 19. Jahrhundert. Dem Leser bzw. der Leserin wird dadurch ein Panorama jesuitischer Wissenskultur in Fribourg offen-bart, die eng mit der Ratio studiorum des Ordens verflochten war. Zusätzlich war diese Ratio studiorum stark von den eigenen Bemühungen des Ordens um eine Reform dieser Studienordnung während der Helvetik (1798–1803) bestimmt. Dabei wird vor allem ein entscheidendes Phänomen aufgezeigt und untersucht: die jesuiti-sche Geschichtsschreibung im Zusammenhang mit den Entwicklungen der Schweiz zu Zeiten des Sonderbundes. Mit dem 1841 bewerkstelligten Druck der von Théodo-re Bellefroid redigierten Histoire de l’Helvétie depuis son origine jusqu’à nos jours knüpfte der Jesuitenorden an eine seit dem 16. Jahrhundert bestehende kulturelle Strategie an, mit welcher sie das konfessionelle Bewusstsein zu steuern versuchte. Solche Anstrengungen entstanden aus dem Vorhaben, einen Geschichtskurs im Collège von Saint-Michel – der aber vermutlich nie realisiert werden konnte – zu verankern. Aus diesem Blickwinkel erscheint der Jesuitenorden in Fribourg als ein zentraler Antreiber der konfessionellen Entwicklungen im helvetischen Staaten-bund.
Inwieweit waren die Prozesse der sozial- sowie bildungspolitischen Einbindung des Jesuitenordens in die städtische Kultur Fribourgs mit dem vom Orden bean-spruchten «Apostolat» vereinbar? Dieser Frage geht David Aeby im dritten und letzten Teil seiner breitangelegten Untersuchung nach. Und speziell in diesem letz-ten Abschnitt kommen die Züge einer rituell immanenten Eigenart und Sonderstel-lung der Jesuiten innerhalbt des städtischen Umfelds von Fribourg zum Tragen: Deren Identität als religiöser Orden wird zugleich in einer Abgrenzung zwischen einer noch konventionell als «tridentinisch» bezeichneten römischen Liturgie und einer Tradition, die in der Diözese von Lausanne erstmals geschaffen wird, gestiftet, weshalb zurecht die Rede von Fribourg als einem «heiligen Ort» («lieu sacral») sein kann. Dabei gelingt es Aeby besonders nachdrücklich zu zeigen, wie die stärksten Veränderungen im liturgischen Leben der Gesellschaft vom 18. zum 19. Jahrhundert vollzogen wurden, vor allem, wie die Jesuiten ihren eigenen Prozessionsritus gestal-teten und damit ihr soziales, politisches und kulturelles Umfeld beeinflussten. Als ein Vorzug der vorliegenden Studie ist deshalb zu vermerken, dass der Verfasser das Studium der Liturgie interdisziplinär zu nutzen versteht, nämlich um die Einbin-dung der Jesuiten in den kulturellen, speziell kirchlichen Kontext von Fribourg zu deuten und deren Rolle in der innerhalb «kirchlicher Herrschaftspraxis» («gouver-nement de l’Église») zu verorten. Dadurch erschliesst sich dem Leser bzw. der Lese-rin ein breiteres Quellenkorpus an liturgischen Handschriften und deren Verwen-dung durch die Jesuiten seit dem 16. Jahrhundert, die in der Kantons- und Universi-tätsbibliothek in Fribourg aufbewahrt werden und welche ebenfalls für die zukünf-tige Forschung auf diesem Feld von grosser Bedeutung sein können. Denn das «Apostolat» als Zeichen des jesuitisch-religiösen Bewusstseins wird vornehmlich durch eine Liturgie, die auf die sozialpolitischen Bedingungen der Stadt Fribourg abgestimmt wird, geschaffen.
Die Gesellschaft Jesu und deren Gestalt sowohl im städtisch-kulturellen als auch im soziopolitischen Umfeld von Fribourg nach deren offizieller Wiedereinsetzung im 19. Jahrhundert wird mit David Aebys Studie auf innovative Weise neu er-schlossen. Die Untersuchung bietet nicht nur Anregungen für die Jesuitenforschung während der Zeit der Aufhebung und Wiederzulassung, sondern bietet auch genü-gend Material, um diesen Orden im Kontext der eidgenössischen Geschichte seit dem 16. Jahrhundert neu zu beurteilen.

Zitierweise:
Malesevic, Filip: Rezension zu: Aeby, David: La Compagnie de Jésus de part et d’autre de son temps de suppression. Les jésuites à Fribourg en Suisse aux XVIIIe et XIXe siècles, préface de Pierre-Antoine Fabre, Padua 2020. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 116, 2022, S. 469-470. Online: https://doi.org/10.24894/2673-3641.00127.

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